Unterfinanzierte faktische Aufgabenübertragung

Dr. Ulrich Keilmann

Dr. Ulrich Keilmann
Foto: BS/privat

Dr. Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt.

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Der LWV Hessen übernimmt faktisch fast die kompletten Kosten der Pflege für Menschen mit Behinderung. Die Entlastung der gesetzlichen Pflageversicherung ist allerdings nicht dessen Aufgabe.

Der LWV übernimmt faktisch fast die kompletten Kosten der Pflege für Menschen mit Behinderung in seinen Einrichtungen. Das sind rund 100 Mio. Euro p.a. Es ist aber nach § 1 SGB XI Aufgabe der Pflegeversicherung und nicht des kommunal finanzierten LWV.

Der Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen ist als landesweiter Kommunalverband organisiert. Er wird komplett finanziert von der kommunalen Familie. In ihrem Auftrag bietet er soziale Leistungen für behinderte, psychisch kranke sowie sozial benachteiligte Menschen und unterstützt sie in ihrem Alltag und im Beruf. Eine der vielfältigen Aufgaben des LWV ist die Eingliederungshilfe. Ziel der Eingliederungshilfe ist es, dass Menschen selbstständig und selbstbestimmt leben können. Soweit möglich, sollen sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und einer Beschäftigung nachgehen können. Der LWV finanziert Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen, beim Wohnen, bei Freizeitaktivitäten und bei der Arbeit.

Einrichtungen des LWV decken den Pflegebedarf ab
Leben Menschen mit Behinderung in Einrichtungen des LWV, decken diese Einrichtungen grundsätzlich auch den Pflegebedarf ab. Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen ohne Behinderung erhalten je nach Pflegegrad Pflegeleistungen durch die Pflegeversicherung von 770 Euro bis 2.005 Euro monatlich. Pflegebedürftige in Einrichtungen der Eingliederungshilfe erhalten hingegen monatlich maximal 266 Euro von der Pflegeversicherung. Diese 266 Euro decken jedoch nur einen Bruchteil der Kosten ab, die dem LWV für die Pflege dieser Menschen mit Behinderung entstehen. Nach unseren Berechnungen im Rahmen der 241. Prüfung „Haushaltsstruktur 2023: Landeswohlfahrtsverband“ trägt der LWV hierdurch jährliche Kosten in Höhe von rund 100 Millionen Euro, die letztlich durch die Kommunen in Hessen aufgebracht werden müssen.

Die Entlastung der Pflegeversicherung, die aus Beiträgen und Mitteln des Bundes finanziert wird, ist jedoch nicht Aufgabe des LWV. Mit der Aufnahme eines Menschen mit Behinderung in eine Einrichtung des LWV mit Pflegestufe, kommt es also zu einer faktischen Aufgabenübertragung zu Lasten des LWV.

Der Bundespolitik ist dieses Problem nicht unbekannt. Im Koalitionsvertrag für die Wahlperiode 2021 bis 2025 heißt es zum Thema: „Wir werden das Verhältnis von Eingliederungshilfe und Pflege klären mit dem Ziel, dass für die betroffenen Menschen keine Lücken in der optimalen Versorgung entstehen.“ Der Bundesrat hat im Mai 2023 die Bundesregierung im Rahmen einer Entschließung aufgefordert, die Regelungen im Sozialgesetzbuch - Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) so anzugleichen, dass auch Menschen mit Behinderungen unabhängig vom Wohnort uneingeschränkt Zugang zu Pflegeversicherungsleistungen zu gewährleisten ist.

Jährliche Entlastung von rund 100 Millionen Euro
Passiert ist seitdem jedoch leider nichts. Nach dem Bruch der Ampel-Koalition bleibt nur zu hoffen, dass sich die Bundesländer für ihre Kommunen im Bundesrat weiter entsprechend engagieren und auf eine Gesetzesänderung in der kommenden Legislaturperiode drängen. Bis dahin entlasten die hessischen Kommunen die Pflegeversicherung jedes Jahr weiter um rund 100 Millionen Euro.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema im Kommunalbericht 2024, Hessischer Landtag, Drucksache 21/1148 vom 11. Oktober 2024, S. 47 ff. Der vollständige Bericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.